„Der begrabene Leuchter“ – Die Geschichte der „Menora“

Der Herausgeber SF Gerald Nadebor hat seit 2010 eine 30 mm-Flachfigurengruppe „Jerusalem 70 n. Chr. Tempelplünderung“ im Programm, die ich ansprechend fand und erwarb.

(Siehe auch die Figuren-Vorstellung in der „Zinnfigur“ von März 2011). Daraufhin beschäftigte ich mich mit dem, wie sich herausstellte, sehr interessanten Thema aus der Antike. Die Zinnfigurengruppe stellt drei römische Legionäre dar, die im Tempel von Jerusalem den siebenarmigen goldenen Leuchter, die angeblich 1,60 m hohe Menora, mit Hilfe eines Hebels hochstemmen. Zu der Gruppe gehören noch ein vierter Legionär, der eine massive Vase wegschleppt, und zwei Trompeten, die Teil des damaligen Tempelschatzes waren.

Der Legionär und die Trompeten müssen von der Hauptgruppe abgetrennt werden. Die Gruppe wurde nach Entwürfen von Francis Quiqerez und Rainer Tschöpe von Herrn Nadebor graviert. Da sie von Anfang an für den Einbau in Dioramen gedacht war, ist sie nur einseitig graviert. Daher habe auch ich mich entschieden, eine kleine Plakette zu dem Thema zu bauen. Ein tolles Diorama „Die Plünderung des Tempels in Jerusalem“ finden Sie auf der Internetseite von SF Helmut Saiger, und zwar unter der Rubrik „Fotos“ auf den Seiten 55 und 56. Er hat die Plünderung des Tempels u. a. mit dieser Figurengruppe hervorragend in Szene gesetzt. Anregung fand ich aber auch auf der Internetseite von Herrn Nadebor, der mir auch Tipps über die dazu passenden Figuren gab. Dazu aber später mehr. Erst kommt jetzt der unvermeidliche „Ausflug“ in die Geschichte insbesondere der Menora und deren literarische Aufarbeitung durch den österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig in seiner Novelle „Der begrabene Leuchter“. Der Tempel in Jerusalem wurde nach dem Alten Testament durch König Salomo erbaut und reich mit kostbarem, goldenem Inventar ausgestattet. Dazu gehörten u. a. als besondere Stücke die Bundeslade, der vergoldete Schaubrottisch, der goldene siebenarmige Leuchter (Menora) und silberne Trompeten.

All diese Kostbarkeiten wurden vorher in einem „Zeltheiligtum“, der „Stiftshütte“ schon zur Zeit der großen Wanderung der Israeliten aufbewahrt. Die ebenfalls reich verzierte Bundeslade enthielt die Schrifttafeln mit den zehn Geboten, die Moses auf der Wanderung direkt von Gott erhalten hatte. Salomos Tempel ist archäologisch leider nicht fassbar, sein genaues Aussehen kann tatsächlich nur der Bibel entnommen werden, worin aber detaillierte Beschreibungen des Gebäudes und seiner Ausstattung vorliegen. Der Tempel war innen reich mit kostbarem Zedernholz verkleidet und mit Schnitzereien verziert. Zum Tausch für das Holz soll Salomo sogar den einzigen Küstenstreifen seines kleinen Reiches an die Phönizier abgetreten haben. Der Tempel war zudem von phönizischen Baumeistern errichtet worden. Man geht von einer Erbauungszeit ca. um das Jahr 960 aus, wobei die Chronologie der Regierungszeit Salomos und seiner beiden Vorgänger Saul und David bei den Historikern umstritten ist. Der Tempel wurde nach der Eroberung Jerusalems durch die (Neu-) Babylonier 587 v. Chr. erstmalig zerstört und ausgeplündert, dabei ging die Bundeslade unwiederbringlich verloren. Die Babylonier hatten vordem das assyrische Großreich zerschlagen (siehe dazu auch meinen Artikel „Die Belagerung einer Stadt durch assyrische Truppen“ in der „Zinnfigur“ von Januar/Februar 2016). Die Mehrzahl der Juden wurde deportiert und ging in die berühmte „Babylonische Gefangenschaft“. Erst als die Perser 539 v. Chr. das Neubabylonische Reich zerstört hatten, durften die Juden zurückkehren. Um 515 v. Chr. wurde ein neuer Tempel errichtet, zumindest ein Teil des Tempelschatzes war noch vorhanden oder wurde neu beschafft. Darunter waren mit Sicherheit die Menora, der Schaubrottisch und die silbernen Trompeten. Um 169 v. Chr. geschah das Unfassbare: Der damalige hellenistische Herrscher Syriens betrat den Tempel und ließ ein Heiligtum für den griechischen Göttervater Zeus darin errichten. Vorher hatte er ihn gründlich ausplündern lassen. Dabei verschwand auch die Menora. Durch den erfolgreichen Aufstand des Judas Makkabäus wurde dieser für die Juden unhaltbare Zustand rückgängig gemacht. Jetzt wurde der Tempel auch militärisch befestigt. Noch einmal wurde die heiligen Gegenstände neu gefertigt, u. a. auch die Menora. Der römische Feldherr Pompejus betrat nach der Eroberung Jerusalems durch seine Truppen im Jahre 63 v. Chr. das Allerheiligste im Inneren des Tempels, was zu großem Entsetzen unter den Juden führte. Der von den Römern eingesetzte König Herodes ließ den Tempel um 21 v. Chr. im hellenistischen Stil aufwendig umbauen. Im Jahre 69 n. Chr. unter Kaiser Nero kam es zum großen Aufstand der Juden, der u. a. wegen Steuererhöhungen durch den römischen Statthalter ausgelöst wurde. Um das Geld einzutreiben, drangen die Römer in den Tempel ein und bemächtigten sich eines Teils des Tempelschatzes. Das brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Im darauffolgenden jüdisch-römischen Krieg wurde der Tempel als letzte Bastion der Verteidiger unter dem römischen Feldherrn Titus erst ausgeplündert, dann in Brand gesteckt. Nur eine Mauer blieb bis heute erhalten, die berühmte Klagemauer. Diese Plünderung zeigt die erwähnte Zinnfigurengruppe.

Menora (Carl)

Die Menora wurde mit den anderen Schätzen nach Rom verbracht und im Jahre 71 n. Chr. während des Triumphs des Titus dem Volk gezeigt. Dokumentiert ist der Triumphzug mit der in Stein gemeißelten Menora und den Trompeten auf dem Titusbogen auf dem Forum Romanum in Rom.

 

Triumphzug Titus

Der Tempelschatz wurde in den von Kaiser Vespasian gestifteten Friedenstempel verbracht. Allerdings nur die ausgesuchten Stücke. Ein Teil des Tempelschatzes wurde für die Finanzierung des Baus des Flavischen Amphittheaters, des Kolosseums, herangezogen. Der verbliebene Schatz verblieb in Rom sicher über dreihundert Jahre, mindestens bis zum Jahr 410 n. Chr., als während der Völkerwanderung die Westgoten unter Alarich erstmalig Rom plünderten. Ein Teil des Schatzes soll dabei verschleppt worden sein. Vielleicht war die Menora schon darunter. Nach der Legende wurde die unermesslich große Beute dem Gotenkönig Alarich mit ins Grab gelegt. Dazu sollen seine Truppen den Fluss Busento in Italien umgeleitet haben. Schatzsucher und Archäologen suchen das Grab mit dem Schatz noch heute…. Der andere Teil des Tempelschatzes wurden bei der zweiten Plünderung Roms durch die Germanen, genauer gesagt durch die Vandalen im Jahr 455 n. Chr. geraubt und in deren Hauptstadt in der ehemaligen römischen Provinz Africa, Karthago, verschleppt. Ihr König war der äußerst energische, charismatische Geiserich. Dieser wurde für die damalige Zeit unglaubliche 88 Jahre alt, er regierte sein Volk 49 Jahre lang sehr erfolgreich. Der jüdische Schriftsteller Stefan Zweig lässt seinen Roman bei der Plünderung Roms beginnen: Die jüdische Gemeinde Roms muss machtlos zusehen, wie ihre Heiligtümer auf die vandalischen Schiffe verbracht werden. Die Ältesten der Gemeinde verlassen über Nacht die Stadt und wandern zum Hafen. Dabei nehmen sie einen siebenjährigen Jungen namens Benjamin mit. Sie wissen, dass sie mit dem Raub des Tempelschatzes ein denkwürdiges Ereignis in der Geschichte des Judentums erleben werden, dass den zukünftigen Generationen durch das Kind übermittelt werden soll. Als sie nach stundenlangem Marsch erschöpft im Hafen ankommen, wird die Menora gerade auf das letzte vandalische Schiff verladen. Keiner traut sich, einzugreifen, nur der Junge stürzt sich beherzt auf den Träger, bevor der das Schiff erreicht. Dabei fällt der große Leuchter zu Boden und zerschmettert dem Jungen den Arm: Ein Leben lang wird Benjamin einen lahmen Arm haben. Der Träger nimmt die Menora wieder auf und trägt sie auf das Schiff. Damit ist sie für die Juden unwiederbringlich verloren. Dann geschieht das Unglaubliche: Neunundsiebzig Jahre später, im Jahre 534 n. Chr. erobern die Oströmer unter dem Feldherrn Belisar das Vandalenreich und bergen den Tempelschatz. So hat es jedenfalls der Geschichtsschreiber und Zeitzeuge Prokop überliefert: Er sah ihn im großen Triumphzug im Circus Maximus vor Kaiser Justinian. Hier verliert sich für die Historiker die letzte Spur des Tempelschatzes von Jerusalem… Stefan Zweig aber schildert weiter in seinem Roman, dass aufgrund der Nachricht vom Fall des Vandalenreichs eben jener Benjamin, mittlerweile 86 Jahre alt und ein weiser Rabbi, nach Konstantinopel reist und sich den Triumphzug ansieht. Bei einer anschließenden Audienz bittet er den Kaiser um die Auslieferung der Menora und der anderen Schätze an die jüdische Gemeinde. Der christliche Herrscher lehnt ab, will die Menora aber trotzdem ins Heilige Land schicken. Allerdings soll sie dort in einer christlichen Kirche stehen. (Das Heilige Land war damals Teil des Reiches von Ostrom. In der Realität ging die Menora spätestens dort verloren, wahrscheinlich fiel sie fremden Eroberern in die Hände, die sie einschmelzen ließen). Ein jüdischer Goldschmied erhält vom Schatzmeister des Kaisers den Auftrag, eine genaue Kopie für dessen Schatzhaus zu fertigen, Benjamin darf dabei zusehen. Die Kopie wird so gut, dass der Schatzmeister sie später nicht auseinanderhalten kann und diese als das Original ansieht, das er später weiter ins Heilige Land schicken wird. Der Goldschmied riskiert sein Leben und übergibt seinem Glaubensbruder Benjamin das Original. Dieser macht sich auf die Reise ins Heilige Land auf und schmuggelt den Leuchter in einem angeblich für ihn selbst gezimmerten Sarg ungesehen von Bord seines Schiffes. Dann vergräbt er den Leuchter in dem Sarg irgendwo abseits einer Landstraße. Er hat die Mission seines Lebens erfüllt, zufrieden stirbt er daraufhin am nächsten Tag. Die Kopie des Leuchters fällt später den Persern in die Hände, die ihn einschmelzen lassen… Soweit der Roman. Die Sehnsucht des Juden Stefan Zweig nach einer Heimat für sein Volk hatte sich, als er die Novelle 1937 fertigstellte, noch nicht erfüllt. Dieses geschah erst 1948 durch die Gründung des Staates Israel. So ist die Irrfahrt des Leuchters durch die Jahrhunderte eine Metapher auf die fast zweitausend Jahre lange Irrfahrt der heimatlosen Juden in der Diaspora. Stefan Zweig selbst kam übrigens mit dem Leben im Exil nicht zurecht, er und seine Ehefrau starben 1942 in Brasilien durch Selbstmord. Jetzt aber wieder zurück zu der Darstellung mit Zinnfiguren: Die Dioramenbauer SF‘s Helmut Saiger und Willi Weiß hatten entsetzte, protestierende jüdische Tempelpriester dazugestellt, diese ursprünglich Schriftgelehrte (Pharisäer) darstellenden Figuren stammen aus der Retter-Serie „Jesus vor Pontius Pilatus“ und sind bei Herrn Wilfried Dangelmaier erhältlich. Aus der Retter-Serie „Entführung der Helena“, ebenfalls bei Herrn Dangelmaier erhältlich, stammt der Diener, der ein Gefäß aufnimmt. Ich selbst habe noch einen römischen Tribun dazugestellt, der ursprünglich von der ehemaligen Offizin Kästner kommt, jetzt aber bei Herrn Nadebor erhältlich ist. Den o g. Triumphzug des Titus mit der Menora können Sie ebenfalls in Zinn darstellen, den gibt es unter der Bezeichnung „Römischer Triumphzug“ als große Serie bei Herrn Christian Carl, Cortum-Zinnfiguren, im Internet. Im Diorama finden Sie den Triumphzug auch auf der Seite von Herrn Saiger unter den Fotos Nrn. 57 bis 60.
Quellen und Verweise: Die Bibel , ausgewählt für junge Menschen, Delphin-Verlag, 1968
Stefan Zweig, Der begrabene Leuchter
Peter Connolly, Die römische Armee (Enthält eine Abbildung des Triumphzugs des Titus und eine Beschreibung des Kampfes um Jerusalem)
Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft Spezial Archäologie, Geschichte, Kultur 4/15, Juda und Israel
Zeitschrift GEO Epoche, Rom – Die Geschichte des Kaiserreichs, Nr. 54
August Graf von Platen, Das Grab im Busento (historisierendes Gedicht aus dem 19. Jahrhundert)
http://www.roemer-und-mehr.de (Seite von Herrn Nadebor)
http://www.roemische-zinnfigurendioramen-neuenburg-am-rhein.de (Seite von Herrn Saiger)
http://www.carl-zinnfiguren.de (Seite von Herrn Carl)