Vor einigen Jahren kaufte ich mir die Serie „Gyges und sein Ring“ von Wolfgang Hafer, sehr schön graviert von Werner Otto. Insbesondere das Schlafgemach ist interessant gestaltet, mit dem Blick nach draußen über den gefliesten Fußboden in den Garten. Im letzten Jahr bemalte ich die Figuren dann letztlich auch, aber nur einseitig. Sie basiert eindeutig auf das Historiengemälde „Kandaules“ von Jean-Louis Gérome, das leicht im Internet gefunden werden kann.
Wie bei mir so üblich, beschäftigte ich mich während der Zeit der Bemalung mit dem historischen Hintergrund, der sich am schnellsten durch Wikipedia ergründen lässt. Dabei wird unterschieden zwischen dem historischen Gyges, der tatsächlich wohl zwischen 680 und 644 v. Chr. in Lydien regierte, und einer sagenhaften Gestalt gleichem Namens. Lydien war ein antikes Königreich auf dem Gebiet der heutigen Türkei (Kleinasien). Kein Geringerer als Herodot berichtete über König Gyges. Er hatte die Macht durch Ermordung des vorherigen Königs Kandaules (eigentlich Sadyattes I.) gewaltsam an sich gerissen, unterwarf sich zeitweise den übermächtigen Assyrern und bekämpfte die griechischen Städte an der Küste. Im Kampf gegen die in sein Reich einfallenden Kimmerier, eines indogermanischen Volks aus dem Norden, kam er ums Leben. Der nach Herodot lebende Historiker Platon berichtet, dass ein Vorfahr dieses Gyges, ein Hirte, nach einem Erdbeben eine Erdspalte mit einer Höhle fand, mit einem hohlen Bronzepferd darin. Diese barg einen riesigen Leichnam, der einen Ring trug. Der Hirte steckte sich den Ring an den Finger. Als er ihn drehte, wurde er komplett unsichtbar. Ein Effekt also ähnlich wie bei der Tarnkappe in der Nibelungensage. Der Hirte ging mit dem Ring zum Palast des Königs. Er verführte mit der Hilfe des Zauberrings die Königin und ermordete den König. Dann bestieg er selbst den Thron und nahm die Königin zur Frau. Der Dichter
Friedrich Hebbbel (1813-1863) griff den antiken Stoff auf und schuf eine Tragödie in fünf Akten daraus. Im Jahr 1982 war ich Schüler der 12. Klasse des Wirtschaftsgymnasiums in Heide in Dithmarschen. In dem Jahr wurde im dortigen Stadttheater „Gyges und sein Ring“ von Hebbel, gespielt. Das Drama stammt aus dem Jahr 1856, wurde aber erst lange nach seinem Tod 1889 in Wien uraufgeführt. Die Aufführung in Heide war eine Pflichtveranstaltung im Rahmen des Deutschunterrichts, aber ich erinnere mich noch ein bisschen daran, vor allen Dingen an den damals berühmten Schauspieler Reiner Schöne, der den „Gyges“ sehr beeindruckend verkörperte, allein schon durch seine stattliche große Gestalt von über 1,90 m. Vielleicht war das Theater deshalb auch so gut besucht. Das tragische Ende mit dem Selbstmord der Königin habe ich noch vor Augen, weiß aber nicht mehr, wer die Schauspielerin war. Reiner Schöne ist jetzt 81 Jahre alt. Auf seiner Internetseite ist zu lesen, dass er 1982 mit „Gyges und sein Ring“ auf Tournee war. Das mit seiner Sprache und der Thematik recht antiquierte Stück wird in der letzten Zeit nur noch selten aufgeführt, 2011/2012 z. B. im Residenztheater München. Es wird sicher auch keine Scharen von Besuchern mehr ins Theater locken. Vielen wird es heutzutage wohl so ergehen, wie meinen Eltern, Dithmarscher Bauern, damals im Stadttheater Heide: Sie konnten damit überhaupt nichts anfangen. Entsprechend war ihr plattdeutscher Kommentar, als wir rausgingen: „So‘n Tüdelkrom“. Im Netz sind für den, den es trotzdem interessiert, Hörspielversionen mit bekannten Sprechern aufrufbar. Der Autor Friedrich Hebbel, einer der bekanntesten deutschen Dramatiker des 19. Jahrhunderts, er verarbeitete historische Stoffe wie z. B. die Nibelungensage, war gebürtig aus Dithmarschen, genauer gesagt aus dem Städtchen Wesselburen.
Nun, vierzig Jahre später, dank der Zinnfigurenserie, beschäftigte ich mich wieder mit dem Dichter und dem Thema. Nichts lag nun zuerst näher, als das Hebbelmuseum in Wesselburen zu besuchen. Das kannte ich tatsächlich noch nicht, obwohl ich fast mein ganzes Leben in Dithmarschen verbracht habe. Wesselburen ist geprägt durch die markante Zwiebelturmkirche aus dem 18. Jahrhundert im Ortskern, etwas untypisch für die Marschlandschaft. Das Museum selbst ist im Wohnsitz des damaligen Amtsvorstehers J. J. Mohr (in Dithmarschen Kirchspielvogt genannt) untergebracht. Hier verbrachte Hebbel bis 1835 seine Jugendjahre als dessen Laufbursche, später als Schreiber. Er durfte aber die Bibliothek seines gebildeten Chefs benutzen, der seinen Intellekt und seine Wissensbegierde wohl erkannt hatte. Trotzdem ließ Hebbel in späteren Jahren kein gutes Haar an ihm. Herr Mohr hätte ihn weidlich als billige Arbeitskraft ausgenutzt. Dennoch, ohne dessen Gutmütigkeit hätte Hebbel als Sohn eines verarmten Maurers diesen gesellschaftlichen Aufstieg sicher nicht geschafft. Anfangs hatte Hebbel sogar selber eine Maurerlehre angefangen. Ein von mir für die Handwerksausstellung im Zinnfigurenmuseum Goslar erstelltes kleines Diorama mit Bauhandwerkern des beginnenden 19. Jahrhunderts zeigt den damaligen Arbeitsalltag.
Im kleinen aber feinen Museum wird man recht beeindruckend durch die Stationen eines außerordentlich harten, entbehrungsreichen, oft von Hunger und Armut geprägten Lebens als mittelloser Student und Poet (er schrieb u. a. auch Gedichte) geführt, im damals noch in mehrere Fürstentümer und Königreiche aufgeteilten Deutschland.
Als Bürger Dithmarschens war er allerdings sogar Untertan des dänischen Königs, da dieses Teil des dänischen Gesamtstaats war. Sein weiterer Lebensweg führte ihn 1835 nach Hamburg, wo er ein Studium anfing. Er hatte dort ein Verhältnis mit der Näherin Elise Lensing, die ihm im Laufe der nächsten Jahre, er kam immer wieder nach Hamburg zu ihr zurück, zwei Söhne gebar. Sie heirateten aber nie. Hebbel zog weiter, 1836 nach Heidelberg, dann nach München. Dort fing er ein Liebesverhältnis mit der Tochter seines Vermieters, eines Schreinermeisters an. 1839 musste er zu Fuß zurück nach Hamburg marschieren, da er völlig mittellos war. Seine Elise unterstützte ihn weiter im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten. 1842 reiste er nach Kopenhagen, wo der dänische König ihm nach zwei Audienzen ein zweijähriges Stipendium gewährte. Mittlerweile waren seine ersten Stücke mit Erfolg an Theatern in Hamburg und Berlin aufgeführt worden. 1844 wurde er zum Dr. phil. promoviert. Die nächste Station war Wien, er unternahm zwischendurch sogar eine Italienreise. In Wien wurden seine Stücke am Burgtheater aufgeführt, er kam endlich zu beträchtlichem Wohlstand, war verheiratet mit der Schauspielerin Christine Enghaus, die ihm einen Sohn und eine Tochter schenkte. Von Elise Lensing hatte er sich da schon getrennt. Am Ende seines kurzen Lebens verkehrte er mit dem Großherzog von Sachsen-Weimar und dem bayrischen Königshaus, war Träger des bayrischen Maximilianordens. Sein Körper war aber bereits angegriffen durch die vorhergehende jahrelange Mangelernährung, er starb nach kurzer schwerer Krankheit bereits mit fünfzig Jahren. Von seinen Kindern überlebte die Kindheit nur die Tochter. Im Museum kaufte ich mir als Taschenbuch „Gyges und sein Ring“. Dieses enthält im Anhang auch noch Wissenswertes über Hebbel (siehe Quellennachweis). Aber Vorsicht: Das ist nichts zum schnellen Lesen so nebenbei. Er schrieb in einer sehr gestelzten, schwülstigen Sprache, die für uns heutige Leser reichlich schwere Kost ist. Einige Sätze muss man mehrmals lesen, um sie zu verstehen. Wie hat Hebbel jetzt den Stoff um Gyges verarbeitet? Der Grieche Gyges ist Führer der Leibgarde des Königs und diesem treu ergeben, eigentlich schon ein guter Freund. Gyges gewinnt regelmäßig bei am Palast veranstalteten Kampfspielen, das Volk der Lyder liebt ihn als strahlenden Sieger. Gyges findet bei einem Jagdausflug den besagten Ring mit seiner besonderen Eigenschaft in einem alten Grab. Als er danach von einer Räuberbande überfallen wird, kann er diese allein mit Hilfe des Ringes überwältigen, indem er sich im Kampf zeitweise unsichtbar macht. Zurück am Hof schenkt er den Ring seinem König. Dieser ist verliebt in seine wunderschöne persische Frau Rhodope, die aber nur verschleiert in der Öffentlichkeit auftritt. Da er unbedingt möchte, dass Gyges deren Schönheit ebenfalls bewundert, verschafft er ihm mit Hilfe des Ringes Zugang zum nächtlichen Schlafgemach. Diese Szene zeigt die Zinnfigurenserie. Dummerweise bemerkt Rhodope durch ein Geräusch, dass noch jemand anderes im Zimmer ist, obwohl sie nichts sieht. Mit weiblicher Intuition und List findet sie später mit Hilfe ihrer Hofdamen heraus, dass es Gyges war. Sie fühlt sich in ihrer Ehre befleckt und stellt ihn vor die Wahl: Entweder er stellt sich dem König zum Duell, um ihr Genugtuung zu verschaffen oder sie lässt ihn durch ihre Höflinge ermorden. Würde er den König im Duell töten, bekäme er die Königin als Preis und das Königreich dazu. Erst hat Gyges noch Skrupel aufgrund seiner Freundschaft und quasi Mitschuld an dem Komplott, fordert aber dann doch Kandaules zum Schwertkampf auf. Dieser hat mittlerweile mitbekommen, dass seine Frau von dem durch ihn initiierten „Voyeurismus“ weiß, sein schlechtes Gewissen ihr gegenüber plagt ihn daher außerordentlich. Deshalb lässt er sich auf den Kampf mit Gyges ein, im vollen Bewusstsein, dass er gegen den erfahrenen Kämpfer eigentlich keine Chance hat. Tatsächlich stirbt er nach kurzem Schlagabtausch. Den Ring, die eigentliche Ursache allen Übels, belässt Gyges am Finger des toten Kandaules, der damit später nach antikem Brauch (siehe Homers Ilias) auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird. Gyges, der Königsmörder, setzt sich dessen Krone auf und tritt so vor Rhodope, um seinen Preis zu fordern. Diese übergibt ihm symbolisch das Königreich, sticht sich überraschenderweise dann aber mit einem Dolch selbst ins Herz. Damit endet der letzte Akt (und lässt geschockte Theaterbesucher zurück). Zu den Zinnfiguren: Die 30 mm-Serie ist bei Rüdiger Hafer erhältlich. Sammlerfreund Henning Voß hat den Friedrich Hebbel als 54-mm-Vitrinenfigur von Karl-Werner Rieger meisterhaft gravieren lassen, zusammen mit Figuren der norddeutschen Dichter Klaus Groth und Theodor Storm als kleine Serie. Sie können bei ihm direkt bezogen werden.
Rolf Ehlers-Maaßen
Literatur: Friedrich Hebbel, Gyges und sein Ring Eine Tragödie in fünf Akten, Hopfenberg Sonderausgabe (preiswertes Taschenbuch, mit interessanten, gut strukturierten Lebenslauf im Anhang)
Das Foto mit den 54 mm-Figuren stammt von SF Henning Voß. Der Herr in der Mitte im grauen Anzug ist Hebbel. Die anderen Fotos stammen vom Verfasser.