Der Kampf zwischen „Seevölkern“ und „Alt-Libyern“

 

  Eine Farbtafel im Osprey-Heft „Sea Peoples of the Bronze Age Mediterranean c. 1400 BC-1000 BCD“, in der der blutige Kampf zwischen Libyern und Söldnern aus den Reihen der Seevölker im Dienste des Pharaos dargestellt ist, brachte mich auf den Gedanken, die Szene einmal mit Zinnfiguren nachzustellen und tiefer in die Historie einzudringen.
Das alte Ägypten war zu keiner Zeit eine Insel der Seligen. Reichtum weckt Begehrlichkeiten, und Ägyptens großer Reichtum war die Landwirtschaft mit ihren reichen Ernten. Bedingt durch die regelmäßige Nilflut und eines durchdachten Bewässerungssystems, verbunden mit kluger Vorratshaltung, war kontinuierlich die Ernährung von vielen Menschen gesichert. Ägyptens weniger begüterte Nachbarvölker beobachteten ständig das wohlhabende Land und nutzten jede militärische Schwäche aus, um sich einen Anteil vom Kuchen zu holen. Immer wieder schafften es ausländische Invasoren, sich im Reich anzusiedeln. Oftmals gelang es ihnen sogar, den rechtmäßigen Pharao durch einen ihrer Führer zu ersetzen und über Generationen das Land zu beherrschen.


Die einzigartige ägyptische Kultur wurde aber niemals zerstört. Es geschah häufiger, dass die ehemaligen Invasoren die ägyptische Kultur übernahmen. Aus dem Nahen Osten kamen die semitischen Hyksos, die in den Jahren von 1794 bis 1550 v. Chr. in der sogenannten Zweiten Zwischenzeit herrschten und u. a. den Streitwagen mit nach Ägypten brachten. Aus dem Süden brachen immer wieder die schwarz afrikanischen Nubier aus dem Reich Kusch ein. Aber auch von Norden drohte Gefahr. Von See kamen in ganzen Flotten mit kombinierten Segel- und Ruderschiffen die „Seevölker“, teilweise als Piraten, teilweise als Siedler, wobei sie auch über Land mit Ochsenkarren reisten. (Interessanterweise findet sich sogar in Homers Odyssee eine Textstelle, vielleicht eine alte Rückerinnerung an die Fahrten der Seevölker nach Ägypten, im XIV. Gesang,, Zeile 241 ff. Darin erzählt Odysseus, wie er mit einer kleinen Flotte einen Raubzug nach Ägypten unternahm. Dieser scheiterte am erfolgreichen Widerstand der ägyptischen Truppen). Nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft stammten sie ursprünglich aus dem ägäischen Raum. Warum sie mit ihren Familien und ihren Tieren in Scharen am Ende der Bronzezeit die Heimat verließen, ist noch unklar, aber wahrscheinlich führten Missernten durch Klimawandel und kriegerische Ereignisse dazu.


Offenbar kollabierte der ganze östliche Mittelmeerraum. Die Palastkultur der Mykener in Griechenland ging unter, das Reich der Hethiter ebenfalls. Zypern und etliche Städte in der Levante wurden mehrmals angegriffen bzw. wie das wohlhabende Ugarit (vermutlich am 21. Jan. 1192 v. Chr.) zerstört. In mindestens zwei Wellen versuchten sie danach vergeblich die Invasion Ägyptens. Doch auch westlich von Ägypten lebte ein streitbares Volk, die Libyer, so bezeichnet von den Griechen. Sie waren wohl die Vorfahren der heutigen Berber. Die Ägypter nannten sie Labu. Gemeinsam mit den Kriegern der anderen Nachbarvölker werden sie auf einem Relief in Abu Simbel als die Feinde Ägyptens dargestellt, die Pharao Ramses II. symbolisch mit der Keule erschlägt. Schon im Alten Reich, in der Zeit der Pyramiden hatten die Pharaonen erfolgreich Kriege gegen sie geführt. Viel später, im Neuen Reich verbündeten sich die Libyer und Seevölker gemeinsam gegen Ägypten. Pharao Merenptah (1213-1204) konnte sie aber erfolgreich abwehren, genau wie Jahre später auch Pharao Ramses III. Diese Kämpfe gegen verschiedene Stämme der Seevölker ließ Ramses danach in die Wände des Tempels von Medinet Habu ritzen und als Dokumente seines Sieges farblich fassen.

Sie sind die wichtigsten Quellen für das Aussehen der Seevölker, die sich gemäß ihrer Stammesangehörigkeit unterschiedlich kleideten. Auch ihre Stammesnamen wurden in Hieroglyphenschrift dokumentiert. Viele Krieger kamen bei den grausamen Kämpfen um. Die überlebenden Familien aber wurden im Reich und an dessen Grenzen angesiedelt, die Männer als Söldner in die ägyptische Armee eingegliedert. So kam es, dass die Angehörigen der Seevölker später gegen ihre einstigen Verbündeten, die Libyer, kämpfen mussten.

Diesen Kampf habe ich mit Zinnfiguren der Offizinen Hafer und Neckel dargestellt. Beide Offizine haben viele Figuren inklusive ihrer von Ochsen gezogenen Streitwagen im Programm, so dass Sie z. B. die Schlachten in Ägypten damit nachbilden können. Herr Horst Tylinski, Berlin, hat zudem noch ganze Schiffe der Seevölker und der Ägypter herausgegeben, so dass auch die o. g. Seeschlachten aufgebaut werden können (siehe „Die Zinnfigur“ Heft 9/10 2006). Acht Typen der Libyer hatte Otto Gottstein früher herausgebracht. Sie können Sie heute bei den Leipziger Zinnfigurenfreunden erwerben.

Die Krieger der Seevölker waren mit einem vielfarbigen langen Schurz bekleidet, manche schützten den Oberkörper mit einer Art Panzer aus Leder, Leinen oder Bronze. Der Helm hatte eine Schutzfunktion, diente aber auch als Stammessymbol. Beispielsweise trugen die Peleset und die Danuna einen kronenartigen Helm aus Lederstreifen oder Federn, die Schardana hatten einen Hörnerhelm mit einer eigenartigen runden Scheibe auf der Spitze. Die dunkelhäutigen Libyer hatten nur eine Schlaufe um die Hüfte geschlungen, die den Genitalbereich verdeckte. Ansonsten trugen manche Krieger einen Umhang. Als Statussymbol diente die Feder im manchmal gefärbten Haar, vergleichbar den nordamerikanischen Indianern. Des Weiteren waren ihre Körper bemalt oder tätowiert. Diese Tradition lebt heute noch bei ihren Nachkommen, den Berbervölkern fort.

Die Seevölker dehnten ihren Einflussbereich weiter über den ganzen Mittelmeerraum aus und hinterließen ihre Spuren, welche die Archäologen nach und nach zu enträtseln versuchen:
Die bekannten Philister aus der Bibel waren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Abkömmlinge der Peleset, die ihrem neuen Land ihren Namen gaben: Palästina. Von den Schardana nimmt man an, dass sie später Sardinien besiedelten. Die Tjekker waren möglicherweise die Ahnen der Etrusker in Italien und auch Sizilien wurde wohl von den Seevölkern besiedelt. Ägypten selbst wurde immer schwächer und zerfiel ab dem Jahr 1070 v. Chr. zusehends unter schnell wechselnden Herrschern. In der ägyptischen Spätzeit von 746 bis 335 v. Chr. wurde das Reich von libyschen, nubischen und persischen Herrschern mehrmals annektiert. Danach kamen Alexander der Große und die griechischen Ptolemäer. Deren letzte Pharaonin war bekanntlich Kleopatra. Ägypten wurde nach ihrem tragischen Tod dann römische Provinz.

Quellen:
Osprey-Heft „Sea Peoples of the Bronze Age Mediterranean c. 1400 BC-1000 BC“
Krog/Krannich – Otto Gottstein und der Beginn der kulturhistorischen Zinnfigur, S. 115 und 123
Rose-Marie und Rainer Hagen – Ägyptische Kunst (Taschen Verlag)
Emile Prisse D’Avennes – Ägyptische Kunst (Taschen Verlag)
http://www.salimbeti.com/micenei/art1.htm (Gute Webseite eines der Verfasser des Osprey-Hefts)
http://www.gottwein.de/Grie/hom/od14de.php. (Odyssee)

Rolf Ehlers-Maaßen